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Aus dem Tagebuch eines Improspielers

Liebes Tagebuch,

eigentlich dürfte ich nicht jammern, da ich keine Kinder heimbeschulen muss und auch keine Freundin habe, zum Vorhaltungen machen lassen bei langer häuslicher Zweisamkeit. Und gesund bin ich auch noch. Corona ist aber trotzdem der totale Stress. Also nicht nur wegen der Krankheit an sich. Sondern vor allem wegen des Mangels an sozialen Kontakte und den fehlenden ständigen Ablenkungen und Versuchungen der Großstadt. Fühle mich mittlerweile, als wäre ich nach Lankwitz gezogen.

02.05.2020

Erstmal einen schönen Kaffee im Bett. Noch vor dem Aufstehen. Hätte die Kapselmaschine schon viel früher auf den Nachttisch umziehen sollen. Nach dem Aufstehen geht es dann richtig los. Schließlich habe ich Mitte April beschlossen, die neue Situation zu nutzen um mich und meine Wohnung jeden Tag ein Stück zu optimieren. Kann mich aber nicht entscheiden. Soll ich die Wohnung weiter verschönern oder soll ich mich um mich kümmern?

17 Uhr. Kann mich immer noch nicht entscheiden. Also starte ich eine kurze Facebook-Umfrage zum Thema. Prompt zeigen sich wieder die Nachteile ungefilterter Kommunikation und die Gehässigkeit des eigenen Freundeskreises. Bei meiner Umfrage war der klare Gewinner "mich verschönern" nämlich gar keine gültige Antwortoption. Aber na gut: kümmere ich mich heute halt um mich, bzw. morgen, denn heute bin ich zu erschöpft. Mit Netflix ins Bett.

03.05.2020

Habe den eisernen Entschluss gefasst, mir meine Leberflecken mal näher anzuschauen. Alle Leberflecken. Schließlich ist mit Hautkrebs nicht zu spaßen. Auch nicht, wenn gerade Corona ist. Stehe also mit zwei Handspiegeln bewaffnet nackt im Bad. Hoffe inständig, dass die Blochniks von gegenüber nicht zu Hause sind, denn das Fenster ist weit geöffnet, da es sonst einfach zu dunkel ist. Schließlich erzeugt die 30 Watt Energiesparlampe von Ikea Dunkelheit wenn man sie einschaltet. Und so lange ist nun auch noch nicht Corona, als dass ich schon zum Fensterputzen gekommen wäre.

Ich habe mir vorher im Internet genau angeschaut, wie so ein Leberfleck aussehen darf und wie nicht. Ist dann a uch gar nicht so schwer. Ich arbeite mich vom Gesicht über die Arme bis zum Bauch vor. Oberhalb des Bauchnabels. Bis hierhin sieht es super aus. Dann die Bauchunterseite. Das hat dem Handspiegel auch keiner an der Wiege gesungen. Nach dem Schock Beine und Füße. So weit so gut. Jetzt der Rücken.

Ich bin zutiefst enttäuscht, in der Schule so dreist belogen worden zu sein. Und das auch noch im Deutschunterricht. Klar ist das Nibelungenlied nur eine Sage, aber die Passage mit dem Lindenblatt bei Siegfrieds Bad im Drachenblut ist erstunken und erlogen. Diese Stelle zwischen den Schulterblättern, auf der das Blatt angeblich landete, existiert nämlich gar nicht. Zumindest bei mir nicht. Habe mittlerweile alles versucht, was zwei Handspiegel und ein erstaunlich wenig biegsamer Körper so hergeben um mir selbst zwischen die Schulterblätter zu schauen. Unmöglich.

Aber vielleicht sollte ich auch noch den Spiegel des Badezimmerschränkchens nutzen. Der Winkel ist zwar ungünstig. Wenn ich mich jedoch auf den Rand der Badewanne stelle, in den linken Handspiegel über dem Kopf schaue und von dort in den zweiten Handspiegel, den ich hüfthoch auf den Badezimmerspiegel richte, dann sollte es klappen. Gerade als ich meinen Oberkörper leicht abknicke, blicke ich am ersten Spiegel vorbei direkt in die schreckgeweiteten Augen von Frau Blochnik im Badezimmer gegenüber. Vermutlich ein bemerkenswerter Anblick den ich ihr da biete. Zumindest, bis mein Fuß vom Badewannenrand rutscht und ich vor Schreck die Beine waagerecht in die Luft werfe um mit dem Rücken auf dem Badewannenrand zu landen. Und es gibt sie doch. Die Stelle zwischen den Schulterblättern. Jetzt gerade spüre ich sie überdeutlich.

04.05.2020

Familie Blochnik leidet auf jeden Fall nicht unter Helfersyndrom, wie ich nach einer langen kühlen Nacht bei offenem Fenster auf dem Badezimmerfußboden feststelle. Zum Glück habe ich mein Medikamentenschränkchen damals auf Kniehöhe halb unter dem Waschbecken angebracht. Hier haben die PowerStrips wenigsten gehalten. Und dank eines Tablettencocktails der ein komplettes Altenheim zum swingen gebracht hätte, sitze ich nun bei Dr. Bronst im Wartezimmer. Im vollen Wartezimmer. Voll mit maskierten Menschen. Verschämt ziehe ich mir das T-Shirt über die Nase und beobachte die Konkurrenz. Und schau. So blickdicht sind diese Masken überhaupt nicht, kann ich doch bei zwei anwesenden Hipstern die dunkle Schattierung prächtiger Schnauzer unter den Masken erahnen.

Endlich. Ein knappe Stunde später sitze ich meiner Heiltherapeutin Fr. Dr. Bronst gegenüber. Sehr nah sogar. So nah, dass ich tief in ihre faltenlosen blauen Augen sehe, während sie sorgfältig Rippen und Wirbelsäule abtastet. So nah, dass ich flüstern kann, wenn ich ihr von meinen Schmerzen berichte. So nah, dass ich einen schwarzen Schatten unter ihrer Maske erspähe. Und so gelöst von den Tabletten, dass ich sie nach ihrem Oberlippenbart befrage.

10.05.2020

Es muss ja nicht immer Corona sein, um einige Zeit allein zu Hause das Bett zu hüten. Manchmal genügen auch schon ein leicht getrübtes Urteilsvermögen und die fachkundig gesetzten Akkupunkturnadeln einer sehr sehr ärgerlichen Therapeutin.

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Übrigens: Es ist Micha, der uns jeden Monat an den geheimen Gedanken eines Improspielers teilhaben lässt.

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